Deutz (Nordrhein-Westfalen)

Allgemeiner historischer Handatlas - Herzogtum Berg im 15. Jahrhundert.pngCologne Innenstadt Deutz.svg Deutz ist seit 1888 ein Stadtteil von Köln (Ausschnitt aus hist. Karte von 1886, aus: wikipedia.org gemeinfrei - Karte von Köln u. Deutz, um 1850 aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Stadtteile Köln' mit Deutz markiert', TUBS 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

1423/1424 wurden die jüdischen Familien aus Köln vertrieben, was das Ende der mittelalterlichen Gemeinde bedeutete. Gleichzeitig begann damit die jüdische Geschichte in Deutz; zwar hatten bereits vor dem Pestpogrom von 1348/1349 Juden in Deutz gelebt (die kleine jüdische Gemeinschaft war beim Pogrom ausgelöscht worden), doch Jahrzehnte danach siedelten sich die meisten vertriebenen Juden aus Köln in Deutz an, wo sie unter dem Schutz des Erzbischofs Dietrich von Moers lebten. Deutz wurde nun vorübergehender Sitz der jüdischen Hauptgemeinde des Erzstifts Köln mit Synagoge und Lehrhaus; ihr Rabbiner durfte den Titel „Landesrabbiner von Cöln“ führen; ab den 1580er Jahren war dann Bonn Sitz des Landesrabbinats. Als Begräbnisplatz konnte aber der alte Kölner Friedhof weiter benutzt werden.

Hauptsiedlungsgebiet der jüdischen Familien war zunächst die Vocher Gasse, die heutige Mindener Straße, und die Hallenstraße. Ihr Haupterwerb bestand zunächst im Geldverleih und Pfandhandel; der Ruf der Deutzer Juden als Geldverleiher soll im gesamten Gebiet des Niederrheins verbreitet gewesen sein. In den folgenden Jahrhunderten spielte dann der Handel eine dominierende Rolle, wobei es hier zu häufigen Konflikten mit den christlichen Deutzer Kaufleuten und Zünften kam. Im Jahre 1665 ereigneten sich antijüdische Ausschreitungen: zahlreiche Kölner Studenten drangen in von Juden bewohnte Häuser ein, verwüsteten und plünderten sie; in diesem Falle sollen sich die Bürger von Deutz auf die Seite der betroffenen Juden gestellt haben.

Anmerkung: Seit Mitte des 17.Jahrhunderts gab es einen eigenen Fährmann („Judenfahrer“), der die Deutzer Juden über den Rhein zu setzen hatte. Nichtansässige jüdische Händler, die ihre Waren am Kölner Ufer verluden, mussten aber die reguläre Fähre nach Deutz benutzen - gegen Entrichtung eines „Judenleibzoll“.

Die erste seit dem 16.Jahrhundert belegte Synagoge der Gemeinde stand am Rheinufer in der Nähe der heutigen Auffahrt zur Deutzer Brücke an der Siegburger Straße; sie wurde im Winter 1784 beim „großen Eisgang“ zerstört; die sich auftürmenden Eisschollen rissen das Synagogengebäude nieder – mit ihr versanken 13 Thorarollen in den eisigen Fluten.

Zwei Jahre später wurde ein unauffälliger Neubau an gleicher Stelle eingeweiht. Die Synagoge beherbergte zahlreiche, sehr alte Kultusgegenstände, die noch aus dem zerstörten Gotteshause stammten.

Synagoge Köln-Deutz | FUTURE HISTORY      

Deutzer Synagoge (hist. Aufn. um 1900, aus: future-history.eu  und   Abb. aus: gbg-koeln.de)

Als das Synagogengebäude 1915 einem Brückenneubau weichen musste, ließ wohl die Stadt Köln am Reischplatz ein neues Gebäude errichten, in dem Betraum und Religionsschule untergebracht waren.

Der jüdische Friedhof in Deutz - nahe der Mühle am Sandkaul - wurde um 1695 in Nutzung genommen; das Gelände hatte der Kölner Erzbischof und Kurfürst Josef Clemens gegen eine jährliche Nutzungsgebühr zur Verfügung gestellt. Dieser in Deutz gelegene Friedhof ist die älteste erhaltene jüdische Begräbnisstätte auf heutigem Kölner Stadtgebiet. Auch nach der Wiederzulassung von Juden in Köln wurden hier bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges auch verstorbene Kölner Juden beerdigt; schätzungsweise wurden hier ca. 5.000 Verstorbene beigesetzt. Im Jahre 1918 wurde dieser Friedhof geschlossen und ein neues Beerdigungsareal an der Venloer Straße in Bocklemünd/Mengenich sowie der 1920 von der Gemeinde „Adass Jeschurun“ erworbene orthodoxe Friedhof an der Decksteiner Straße in Lindenthal eröffnet.

Juden in Deutz:

         --- um 1595 ...................... ca.   80 Juden (in 19 Familien),

    --- 1634 .............................   17 jüdische Familien,

    --- um 1665 ..........................   65 Juden (ca. 10% d. Bevölk.),

    --- um 1790 ...................... ca.  165   “  , 

--- 1816 .............................  248   “  ,

    --- 1843 .............................  238   “  ,

    --- 1880 .............................   ?       . 

Angaben aus: Klaus H. S. Schulte, Familienbuch der Deutzer Juden, S. 26

und                  Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Reg.bez. Köln, S. 257/258  

 

Auch wenn nach 1800 einige Juden ins nahe Köln zogen, konnte die Deutzer Gemeinde in der Folgezeit die Zahl ihrer Gemeindemitglieder halten; Juden aus dem ländlichen Umland wurden hier ansässig. 1888 wurde Deutz in die Großstadt Köln eingemeindet. Über die weitere Geschichte der Synagogengemeinde Deutz - sie löste sich offiziell im Jahre 1928 auf - liegen nur unzureichende Angaben vor.

Das jüdische Bethaus am Reischplatz wurde während des Novemberpogroms und des Krieges stark beschädigt.

Vom Bahnhof Deutz-Tief aus erfolgten die großen Deportationen, insgesamt waren es 15 Transporte. Zuvor mussten sich die für die „Evakuierung“ ausgesuchten Juden auf dem Messegelände in Köln sammeln. Der erste Transport mit mehr als 1.000 Kölner Juden verließ Deutz am 21.Oktober 1941 in Richtung Lodz, der letzte am 1.Oktober 1944 mit dem Ziel Theresienstadt.

 

Seit 1990 erinnert eine Tafel mit folgender Inschrift:

An dieser Stelle war der Aufgang zum Bahnhof Deutz-Tief.

Von hier aus wurden 1940/41 mehr als 1.500 Sinti und Roma und seit 1941 mehr als 11.000 Juden in Konzentrationslager deportiert. Zudem wurden die Häftlinge des Messelagers Deutz hier an- und abtransportiert. Über diese Treppe gingen viele Menschen in den Tod.

[vgl. Köln (Nordrhein-Westfalen)]

Am Standort der letzten Deutzer Synagoge am Reischplatz erinnert seit 1984 eine Gedenkplatte mit folgender Inschrift:

Im Jahre 1915 wurde anlässlich des Brückenbaues

die nach dem grossen Eisgang des Jahres 1784

an der Freiheit wieder aufgebaute Deutzer Synagoge an diese Stelle verlegt.

Am 9.11.1938 wurde die Synagoge ebenso wie die mit ihr verbundene Religionsschule zerstört.

In den Straßen von Deutz erinnern sog. „Stolpersteine“ nicht nur an jüdische Opfer der NS-Gewaltherrschaft.

Stolpersteine Köln Helenenwallstraße 1Stolpersteine Köln Reischplatz 1Stolperstein Köln Mathildenstraße 23 Helene Weinberg

verlegt in der Helenenwallstraße, am Reischplatz und in der Mathildenstraße (Aufn. T., 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Allein 13 Steine wurden 2019 vor dem Portal des Deutzer Gymnasiums (Schauertestraße) verlegt, die dem Angedenken von ehemaligen jüdischen Schülern gewidmet sind, die der Shoa zum Opfer gefallen sind.

Auf dem bis 1941 genutzten Deutzer Friedhof am Judenkirchhofsweg erinnern die vielen, z.T. sehr verwitterten und in den Boden gesunkenen Grabsteine daran, dass dieses ca. 18.000 m² große Areal mehrere hundert Jahre lang in Nutzung war. Der älteste vorhandene Stein stammt aus dem Jahre 1698.

Jüdischer Friedhof Deutz (Köln), Grabmale der Landrabbiner.jpg

Jüdischer Friedhof in Deutz (Aufn. Willy Horsch, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

                       Jüdischer Friedhof Köln-Deutz -9577.jpg Auffällige Ornamentierung (Aufn. Elke Wetzig, 2018, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Zu den bekanntesten Grabstätten zählt die der Bankiersfamilie Oppenheim: Therese Oppenheim übernahm nach dem Tod ihres Mannes und Bankgründers Salomon Oppenheim (1828) die Geschäftsleitung. Die Oppenheims ließen die Synagoge in der Glockengasse bauen, gründeten die „Rheinische Zeitung“ (später „Neue Rheinische Zeitung“). Beerdigt wurden in Deutz auch der Schriftsteller, Philosoph und Zionist Moses Hess, dessen sterbliche Überreste 1961 nach Jerusalem überführt wurden, und der Kantor Isaak Offenbach, Vater des Komponisten Jacques Offenbach. Auch David Wolffsohn, Nachfolger Theodor Herzls als Präsident der Zionistischen Weltorganisation, liegt hier begraben.

 

 

 

Weitere Informationen:

C. Brisch, Geschichte der Juden in Cöln und Umgebung (2 Bände), Mülheim a. Rh., 1879/1882

P. Simons, Illustrierte Geschichte von Deutz, Kalk, Vingst und Poll. Ein Beitrag zur Geschichte des kurkölnischen Amtes Deutz, Cöln-Deutz 1913

F.C.Heimann, Die alte Synagoge in Deutz, in: "Mitteilungen des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege u. Heimatschutz", No. 8 (2), Düsseldorf 1914, S. 108 - 118

Georg Hoffmann, Die Juden im Erzstift Köln im 18.Jahrhundert, Dissertation München 1928

M.L. Schwering, Die Deutzer Judengemeinde, in: F.Brill (Hrg.), Deutz - Geschichte eines Vororts, Köln 1955

Widerstand und Verfolgung in Köln 1933 - 1945. Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln Febr./April 1974, Köln 1974

Herbert Kruppa, Die jüdische Gemeinde, in: H.Kruppa, Ein Kölner Vorort mit großer Geschichte: Deutz, Köln 1978, S. 82 - 84

Alwin Müller, Die Geschichte der Juden in Köln zu Beginn des 19.Jahrhunderts, in: "Geschichte in Köln", No.5/1979, S. 16 f.

Germania Judaica, Band III/1, Tübingen 1987, S. 222 - 225

Alwin Müller, Die Geschichte der Juden in Köln von der Wiederzulassung 1789 bis um 1850. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte einer Minderheit, in: "Kölner Schriften zur Geschichte und Kultur", Band 6, Köln 1984, S. 87 ff.

Falk Wiesemann (Hrg.), Zur Geschichte und Kultur der Juden im Rheinland, Schwann-Verlag, Düsseldorf 1985

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 225 - 228

Johannes Ralf Beines, Die alte Synagoge in Deutz, in: "Rechtsrheinisches Köln. Jahrbuch für Geschichte und Landeskunde", No.14/1988, S. 55 - 64

Josef Wißkirchen, Reichspogromnacht am Rhein und Erft - 9./10.November 1938. Eine Dokumentation, in: "Pulheimer Beiträge zur Geschichte u. Heimatkunde", Pulheim 1988

Jüdisches Schicksal in Köln 1918 - 1945. Katalog zur Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln

Klaus H. S. Schulte, Familienbuch der Deutzer Juden, in: "Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln", 67.Heft/1992, Böhlau-Verlag, Köln/Weimar/Wien 1992

Stefan Pohl/Georg Mölich, Das rechtsrheinische Köln: Seine Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart, Köln 1994

Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Regierungsbezirk Köln, J.P.Bachem Verlag, Köln 1997, S. 257/258 und S. 284/286

Michael Zimmermann (Hrg.), Geschichte der Juden im Rheinland und in Westfalen, in: "Schriften zur politischen Landeskunde", Band 11, Hrg. Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen, Kohlhammer Verlag GmbH, Köln/Stuttgart/Berlin 1998

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999

Kirsten Serup-Bilfeldt, Zwischen Dom und Davidstern: Jüdisches Leben in Köln von den Anfängen bis heute, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001

Suzanne Zittartz-Weber, Zwischen Religion und Staat. Die jüdischen Gemeinden in der preußischen Rheinprovinz 1815 - 1871, in: "Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalen", Band 64, Klartext-Verlag, Essen 2003

Günter Leitner, Friedhöfe in Köln - mitten im Leben, Neumarkt 2003

N.N. (Red.), Veedelsgeschichte(n). Die kölnschen Juden der frühen Neuzeit, in: „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 4.4.2012

Auflistung der in Köln-Deutz verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_im_Kölner_Stadtteil_Deutz

Uli Kreikebaum (Red.), Jüdischer Friedhof in Köln-Deutz: die wildeste Ruhestätte der Stadt, in: "Kölner Stadt-Anzeiger" vom 3.5.2018

König (Red.), Weg der Erinnerung. 13 Stolpersteine an Deutzer Gymnasium erinnern an ermordete Schüler, in: „Kölner Wochenspiegel“ vom 26.3.2019

Paula Wendel (Red.), Jüdisches Köln – rechtsrheinisch. Ein Projekt zum Jubiläumsjahr, in: „Kalonymos – Beiträge zur deutsch-jüdischen Geschichte aus dem Salomon Ludwig Steinheim-Institut“, 24. Jg., Heft 3/4 (2021)